
Von der Erzieherin (1) zur Professorin für Psychologie?
Neue Hochschulzugänge in Rheinland-Pfalz ermöglichen neue Bildungswege für Erzieherinnen und Erzieher und andere beruflich qualifizierte Personen
Prof. Dr. Ralf Haderlein
Von der Erzieherin zur Professorin für Psychologie - ein Weg, der für die meisten Erzieherinnen und Erzieher kaum möglich war. Viele pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen haben „nur“ einen Mittleren Schulabschluss oder einen Hauptschulabschluss und keine Zusatzprüfung, so dass ein Studium fast ausgeschlossen war. Sicherlich gab es immer Mittel und Wege – wie z. B. der Besuch eines Abendgymnasiums. Doch an einen Studienplatz zu kommen, dafür waren die Hürden und der Aufwand oft zu groß. Waren? Ja, waren, zumindest hat ein Bundesland in aller Konsequenz die Durchlässigkeit der Bildungswege ernst genommen. Rheinland-Pfalz (RLP) hat seit 01.09.2010 mit der Reform des Hochschulgesetzes den Hochschulzugang neu geregelt. Davon profitieren auch die Erzieherinnen und Erzieher und auch die Sozialassistentinnen und –assistenten, sowie die Kinderpflegerinnen und –pfleger.
Grundsätzlich gibt es in RLP den Hochschulzugang über die bis dato bekannten Abschlüsse Abitur, Fachabitur oder andere Hochschulzugangsberechtigungen, die teilweise bei der Erzieherinnenausbildung mit Sonderprüfungen oder dem Bestehen bestimmter Fächerkombination erreicht werden konnten. Oft jedoch waren und sind die Zugänge beschränkt auf sogenannte fachgebundene Hochschulzugangsberechtigungen, d.h. eine Erzieherin oder ein Erzieher ohne Abitur konnte z. B. Soziale Arbeit an der Fachhochschule studieren, aber nicht Psychologie an der Universität.
Unmittelbarer Hochschulzugang für staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher
Rheinland-Pfalz hat nun den Zugang für die Meisterabschlüsse oder diesen gleichgestellten Berufsabschlüssen neu gefasst. Mit diesen Abschlüssen unabhängig von der Grundbildung (also Abitur, mittlerer Reife oder qualifiziertem Hauptschulabschluss) können alle Studiengänge in RLP an allen Hochschularten, wie z. B. Universitäten oder Fachhochschulen, studiert werden. Beispielsweise kann ein Bäcker-Meister Ingenieurwesen studieren. Die entsprechende Verordnung in RLP sieht nun auch vor, dass als meisteradäquat alle Weiterbildungen anerkannt werden, die im Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07. November 2002 - geändert mit 03.03.2010 - festgelegt wurden. Hierzu gehören auch die Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin und dem staatlich anerkannten Erzieher mit mindestens 2400 Unterrichtsstunden und 1200 Praxisstunden.
Was bedeutet dies? Jede staatlich anerkannte Erzieherin und jeder staatlich anerkannter Erzieher, die eine entsprechende Ausbildung abgeschlossen haben, erhalten in RLP den unmittelbaren Hochschulzugang und können damit alle Fächer studieren, die die Hochschulen in RLP anbieten. Beispielsweise kann eine Erzieherin Psychologie an der Uni Mainz oder Recht an der Uni Trier studieren. Interessant dabei ist, dass bei zulassungsbeschränkten Fächern der Berufsabschluss mit allen anderen gleich gestellt wird. Das bedeutet, eine Abiturientin bewirbt sich mit den gleichen Chancen auf einen Studienplatz Psychologie wie die staatlich anerkannte Erzieherin – denn die Noten beider Abschlüsse werden gleichgestellt. Dabei ist zu beachten, dass die Hochschulen selbst für die Studiengänge besondere Voraussetzungen verlangen können. Sie können jedoch nicht den Hochschulzugang verweigern.
Unmittelbarer Hochschulzugang an Fachhochschulen und unmittelbarer fachgebundener Hochschulzugang an Universitäten für Sozialassistentinnen/–assistenten und Kinderpflegerinnen/-pfleger
In Rheinland-Pfalz gibt es jetzt aber auch einen Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ohne Meister oder meisteradäquate Abschlüsse. Zu solch einem Beruf gehört die Sozialassistentin oder der Sozialassistent und die Kinderpflegerin oder der Kinderpfleger. Wer einen anerkannten Berufsabschluss besitzt, eine Abschlussnote von 2,5 und besser, und noch zwei Jahre Berufserfahrung nachweist, bekommt nun in RLP die unmittelbare Hochschulzugangsberechtigung für ein Studium an einer Fachhochschule und die unmittelbare fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung für ein Studium an der Universität. Möglich ist dieses jedoch nur für diejenigen Hochschulen, die in Rheinland-Pfalz liegen.
Das bedeutet, dass die Sozialassistentin oder der Kinderpfleger mit einer Abschlussnote der Berufsausbildung z. B. von 1,5 ebenso wie die Erzieherin an der FH Koblenz Bachelor Soziale Arbeit studieren kann oder fachgebunden an der Uni Mainz voraussichtlich Erziehungswissenschaften. Voraussichtlich deshalb, weil die jeweilige Universität die Fachgebundenheit festlegt, bei der man studieren will. Es könnte sein, dass z. B. für das Fach Psychologie die Uni Mainz die Fachgebundenheit feststellt, während die Uni Trier dies nicht tut. Gut beraten wäre man bei Interesse an einem universitären Studiengang, den fachgebundenen Hochschulzugang gleich bei allen anbietenden Universitäten in RLP zu beantragen.
Auch hier gilt, dass bei platzbegrenzten Studiengängen die Note des beruflichen Abschlusses mit den Noten anderer Hochschulzugangsmöglichkeiten gleichgestellt wird. Noch einmal zur Verdeutlichung: Stehen zum Beispiel nur 35 Studienplätze zur Verfügung und die Hochschule wählt nur nach Note aus (hier kann die Hochschule jedoch ein anderes Verfahren wählen bzw. besondere Zugangsvoraussetzungen noch einführen), so steht die Kinderpflegerin mit 1,5 im Abschluss vor der Abiturientin mit 2,1 im Abitur.
Die oben genannten zwei Jahre Berufserfahrung können auch a) durch das Führen eines Haushaltes mit mindestens einem erziehungsberechtigtem Kind oder pflegebedürftigen Person oder b) durch die Tätigkeit als Entwicklungshelferin oder –helfer oder c) durch den Jugendfreiwilligendienst oder d) durch ein Ausbildungspraktikum nachgewiesen werden.
Der direkte Zugang zum Masterstudium
Rheinland-Pfalz hat sogar mit dem neuen Hochschulgesetz die Möglichkeit geschaffen, direkt in einen Masterstudiengang einzusteigen, ohne ein grundständiges Studium vorzuweisen. Wer einen Hochschulzugang in Rheinland-Pfalz nach den oben dargestellten Bedingungen hat und eine mindestens dreijährige einschlägige Berufstätigkeit absolviert, kann über eine Eignungsprüfung der jeweiligen Hochschule, die die Gleichwertigkeit mit einem ersten Hochschulabschluss darstellt, bei Bestehen direkt in ein Master-Studium zugelassen werden. Dies gilt allerdings nur für sogenannte weiterbildende Masterstudienänge, wie diese zum Beispiel von der Zentralstelle für Fernstudien (www.zfh.de) angeboten werden. Wichtig dabei ist, dass es keinen Rechtsanspruch auf diesen Zugang gibt. Die Hochschulen können die Möglichkeit eröffnen, müssen dies aber nicht. Der Wermutstropfen: es gibt bis jetzt noch kaum Hochschulen, die eine solche Option für pädagogische Fachkräfte eröffnet haben.
Und nun?
Die oben genannten Möglichkeiten der Hochschulzugänge gibt es auch in anderen Bundesländern, nur nicht mit der ganzen Breite der Zugänge. Einige Bundesländer haben Quotierungen beim beruflichen Zugang eingeführt oder den Zugang nur auf bestimmte Fächer begrenzt. Die genannten Möglichkeiten gelten nur für Studiengänge in Rheinland-Pfalz. Es ist jedoch unwichtig, in welchem Bundesland der Berufsabschluss erworben wurde. Eine Erzieherin aus Bayern, die dort kaum eine Möglichkeit hat, Psychologie an einer Universität zu studieren, kann dies nun in Rheinland-Pfalz tun. Interessant dabei ist, dass zu einem späteren Semester diese Studierende dann nach Bayern wechseln könnte.
Das neue Hochschulgesetz in Rheinland-Pfalz ermöglicht konsequent die Durchlässigkeit unterschiedlicher Bildungssysteme, zumindest an den Hochschulen in Rheinland-Pfalz. Die Bildungspolitik in RLP hat damit auf die oft postulierten bildungsbiographischen „Sackgassen“ reagiert und durch die vermehrten berufsbegleitenden und –integrierenden Studiengänge weitere Möglichkeiten geschaffen, neben und mit der Berufsausübung zu studieren. Jetzt hat die Erzieherin die Möglichkeit, nach einem Bachelor-Studium ein Master-Studium anzuschließen und danach wiederum die Promotion anzugehen: von der Erzieherin zur Professorin für Psychologie.
Ich bin davon überzeugt, dass dies ein weiterer wichtiger Beitrag zur Entwicklung des gesamten pädagogischen Feldes für die Qualifikation pädagogischer Fachkräfte in Kitas darstellt. Die Träger haben die große Chance, mit der (partiellen) Freistellung für ein Studium Personalentwicklung umzusetzen. Es wird spannend, wer und wie viele diese neuen Möglichkeiten nutzen werden.
(1) Zur besseren Lesbarkeit wurden nicht immer beide Geschlechtsformen berücksichtigt, gemeint sind jedoch immer beide.
Beratungsmöglichkeiten: bei den Studierendensekretariaten an allen rheinland-pfälzischen Hochschulen
Gesetzliche Grundlagen:
- aktuelles Hochschulgesetz Rheinland-Pfalz,
- Studienplatzvergabeordnung Rheinland-Pfalz,
- Landesverordnung über die unmittelbare Hochschulzugangsberechtigung für beruflich qualifizierte Personen.
Prof. Dr. Ralf Haderlein, Dipl-Volksw., -Theol., -Psych., interdisziplinäre Promotion in den Bereichen Betriebswirtschaftslehre und Theologie (Universität Freiburg i. Br.); seit 2006 Leiter des Studienganges „Bildungs- und Sozialmanagement mit Schwerpunkt frühe Kindheit B. A.“; seit 2007 Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung im Kindesalter (www.bag-bek.de); seit 2008 Leiter der Zentralstelle für Fernstudiengänge (www.zfh.de) der Länder Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland; Forschungsschwerpunkte: NPO-Management, NPO-Marketing, wertorientiertes Qualitätsmanagement, besonders in Kindertageseinrichtungen.
Kontakt:
Prof. Dr. Ralf Haderlein
RheinMoselCampus
Konrad-Zuse-Str. 1
56075 Koblenz
E-Mail: haderlein@fh-koblenz.de
Tel.: 0261-9528-220
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